Von Autolos zu Ratlos.

Als wir vor knapp zwei Jahren mit unseren drei kleinen Töchtern von München nach Bad Endorf kamen, waren wir begeistert. Wir hätten ab sofort sowohl dörfliches Voralpenlandidyll als auch urbane autolose Mobilität, dank Bahnhof, Bus, Carsharing und wunderschöner Radstrecken.
Wie waren wir blauäugig!


Aufgrund der genannten Vorzüge war schnell klar, daß wir auch in Endorf auf ein Auto verzichten wollen und haben dadurch schnell nähere Bekanntschaft mit dem Endorfer Radwegenetz gemacht:
Ein Holländer, der nach München zieht muss sich ähnlich vorkommen, wie wir als wir nach Endorf zogen. Plötzlich wirkt München mit seinem Fahrradentscheid, seinen Pop-up-Radwegen und seinen Horden an Eltern auf Lastenrädern wieder stadtplanerisch weit vorrausdenkend.

Dabei waren wir eigentlich wegen des Verkehrs weggezogen.
Um nicht missverstanden zu werden: Bad Endorf hat tatsächlich die bereits erwähnten wunderschönen Wander- und Radwege. Und diese werden an Sonn- und Feiertagen auch intensiv genutzt. Wer aber das Fahrrad nicht als Freizeitgerät sondern als Primärtransportmittel versteht, für den ergibt sich ein ganz anderes Bild.

Die Alltagsstrecken führen in der Regel durchs Dorf, sei es um einzukaufen, zum Arzt zu fahren oder die Kinder im Kindergarten abzuliefern. Und diese Fahrten lassen keinerlei städteplanerische Phantasie jenseits eines möglichst hohen Aufnahmevermögen an Automobilen im Dorf erkennen. Wer mit kleinen Kindern fährt, der stellt sich unwillkürlich die Frage, ob er zugunsten des Überlebens unseres Planeten das Überleben der eigenen Kinder riskiert.

Wer das nicht nachvollziehen kann, dem lege ich ans Herz mit seinem Kind respektive Enkel einmal quer durch Endorf zu radeln und dabei das Zentrum zu kreuzen. Sei es entlang der stark befahrenen Bahnhofstrasse mit viel Parkplätzen aber keinem Konzept für Radführung. Oder entlang der Traunsteinerstraße, neben der sich, wenn es bergauf geht, zwar ein marodes Weglein schlängelt, das aber noch nicht einmal als Fahrradweg ausgewiesen ist. Auch wer von der Kirche die Rosenheimer Straße lang fährt, wird sich schnell die Frage stellen, ob er sein Kind auf dem durch einen mit einer Mauer versperrten und damit nutzlosen Gehweg oder tatsächlich im toten Winkel eines 40 Tonners fahren lassen soll.

In den Seitenstrassen sieht es nicht besser aus: Die Kreuzstraße weiß nicht so recht, auf welcher Seite sie Fahrradfahrer lang bugsieren soll. Die Katharinenheimstrasse verweigert sich Fahrradfahrern, die ins Zentrum wollen genauso wie Autofahrern. Und die alternative Langbürgnerseestraße bietet Kindern keinerlei Abgrenzung vor den Autofahrern.

Besonders Eindrucksvoll wird diese Prioritätensetzung unserer Stadtväter, wenn Grüne Anträge zur Verbesserung der Situation entweder von vornherein abgelehnt werden, da sie zu Lasten des Autoverkehrs gehen. So zum Beispiel wenn Parkplätze „geopfert“ werden sollen, wie beim Vorschlag die Katharinenheimstr für Fahrradfahrer in beide Richtungen zu öffnen. Oder aber Anträge werden tatsächlich angenommen, aber nicht umgesetzt, wie die „Bike and Ride“ Anlage am Bahnhof.

Wenn dagegen ein Kreisel das Herz des Dorfes zuteert und damit die verkehrspolitische Zukunft auf Jahrzehnte betoniert, werden buchstäblich Häuser versetzt.

Es ist sehr bedauerlich, daß selbst bei einem Dorf, das ein „Bad“ im Namen hat nicht versucht wird, Autoverkehr aufs Fahrrad zu verlagern und damit die Lebensqualität der Anwohner zu erhöhen. Es bleibt die Hoffnung, daß die aktuelle Wasserknappheit sowie die Energiekrise den Entscheidern ihre Verantwortung endlich deutlich genug vor Augen führt und ein Umdenken einleitet.

Robert Hölzl

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