Wir müssen reden – Einblicke in die Aufgaben des
Marktgemeinderats

Als ich mich im Wahlkampf 2020 von den Endorfer Grünen auf die Liste
für den Marktgemeinderat setzen ließ, habe ich einige bewundernde
Kommentare gehört. Ich wäre aber mutig!
Ehrlich gesagt, besonders mutig fühlte ich mich da gerade nicht.
Eher verunsichert.


Wenn man die Berichte des Weltklimarates liest, die mit einer immer
größeren Dringlichkeit die Einhaltung der 1,5°C-Grenze als
Notwendigkeit ansehen, um die planetaren Grenzen nicht zu sprengen
und die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Politik, wir alle einfach
weitermachen, als gäbe es keine Bedrohung, dann fühlt man
Verunsicherung, oder nicht?


Und wenn die Verantwortung für die ersten großen Schritte zu einer
Transformation in Richtung lebenserhaltendem Lebensstil immer nur
von sich auf andere Ebenen, in andere Sachgebiete, in andere Länder
geschoben wird, dann wird aus Unsicherheit Gestaltungswille! So war
es zumindest bei mir.


In der Klimaklausur des Gemeinderates wurde uns Rät:innen klar
präsentiert, wer für die verbindliche Umsetzung der Klimaziele 2035
verantwortlich sei: die kommunale Ebene. Internationale
Klimakonferenzen, die Bundespolitik sowie die Landespolitik
formulieren Ziele und Pläne und agieren – nach verbreiteter
Rechtsauffassung – immer unverbindlich. In den Gemeinden werden die
Ziele und Initiativen umgesetzt. D.h. kommunale Verwaltungen und der
Gemeinderat tragen eine große Verantwortung aber auch
Gestaltungsmacht beim Klimaschutz.


Seit Januar 2022 sitze ich nun im Marktgemeinderat und fühle mich
dort neu und gleichzeitig mittendrin. Hohe Fachlichkeit, großes
Engagement, sowie vielseitige berufliche Erfahrungen bringen die
Männer (16) und einzelne Frauen (fünf) meist in stundenlangen,
abendlichen Sitzungen hier – zum Teil schon seit Jahren – ein. Dafür
habe ich große Anerkennung und Dank.
Fassungslos stehe ich ihrer Taubheit bei Klimaschutzthemen
gegenüber.
Ob an den Abenden, die ich im Festzelt des Gautrachtenvereins im
Sommer 2022 verbracht habe oder bei einer Trauerfeier eines
engagierten und ehrwürdigen Endorfer Bürgers, man erkennt eine
Stabilität und Logik in den Traditionen, Ritualen und in der Gemeinschaft. Es stützt und nährt die Teilnehmenden und da ist gut
so. Es ist ein Grundbedürfnis der Menschen, dazuzugehören. Alles
fühlt sich stabil und bewährt an und man spürt keine Notwendigkeit
etwas zu ändern.

Aber um all das zu erhalten die Tradition, die Rituale und die
Gemeinschaft braucht es Veränderung.
Das Engagement der Endorfer Kirchen ist ermutigend. Immer wieder
laden die Kirchen zu Veranstaltungen ein, bei denen Maßnahmen zu
Klimaschutz vorgestellt und diskutiert werden.
Nur die politische Landschaft in Endorf hat die Dringlichkeit und
die Verantwortung unserer Generation noch nicht erkannt. Man spricht
über Klimaschutz und schmückt sich mit Sonntagsreden, aber ins
Handeln kommt man nicht.


Ob das alternative Mobilitätskonzepte sind, wie z.B. die Aktivierung
der Leo-Bahn-Strecke, Sicherung des Fuß- und Radwegs an der
Mittelschule, eine angepasste Stellplatzordnung, eine nachhaltige,
ressourcenschonendere Bauleitplanung oder die ökologische und
gesunde Verpflegung der Kinder in der Schule: wir Grüne Gemeinderäte
sehen uns bei diesen Themen meist mit absoluter Mehrheit überstimmt.
Meiner Meinung nach ist eine gewisse Bereitschaft zu Kooperation und
Kompromiss eine Grundvoraussetzung für gelingende Politik – ob auf
internationaler, nationaler oder kommunaler Ebene.


Auch die Kommunalpolitik steht mit dem aktuellen Pandemiegeschehen,
den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine, sowie mit den
gesellschaftlichen Spaltungen und nicht zuletzt mit den bereits
spürbaren Folgen des Klimawandels vor große Herausforderungen, die
keine politische Gruppierung alleine meistern will und kann.
Um soziale, ökologische und wirtschaftliche Aufgaben in Endorf
voranzubringen, braucht es einen stabilen Willen für Vertrauen und
Kooperation!


Wenn Gemeinderäte es wagen, in öffentlichen Sitzungen zu sagen, sie
sähen eine „Gefahr in der Beteiligung der Bürger:innen“ bei
bestimmten Projekten und es möglich ist, fachliche Fragen und Inputs
zu Klimachutzmaßnahmen als „dummes Geschwätz“ zu kommentieren, dann
sind wir von respektvollem Kooperieren noch etwas entfernt.
Unbestritten ist, dass die Herausforderungen, die vor uns liegen –
nichts weniger als „die Bewahrung der Schöpfung“ – in Zeiten von
Pandemie, gesellschaftlicher Spaltung und Krieg innerhalb Europas
komplex und tiefgreifend sind. Wir stehen vor Aufgaben – seien es
z.B. die Energieversorgung der Kommune, der Zustand unserer
landwirtschaftlich genutzten Böden, unsere persönlichen Mobilitäts- und Wohnansprüche oder soziale Fragen nach bezahlbarer Betreuung und
Pflege im Alter – sie erscheinen immens.

Und doch bleibt uns nichts Anderes übrig: Wir werden uns den
Aufgaben stellen, ringen, reden, überzeugen, gestalten. Die
Grundvoraussetzung für ein Gelingen ist eine starke Demokratie, hohe
Beteiligung und die Inklusion von Bedürfnissen möglichst vieler
Menschen.

Um irgendetwas in Richtung Klimaschutz in Endorf zu erreichen, muss
sich grundlegend an der Ausrichtung der Werte im Marktgemeinderat
etwas ändern, unabhängig von der Sitzverteilung. In jeder Fraktion
muss die Dringlichkeit zum Handeln und der Umsetzungswille auf den
obersten Platz gehievt werden. Und das müssen wir trainieren. Denn
Veränderung schafft auch Verunsicherung.

In einem Zeitungsbericht bin ich auf den Begriff des
„Möglichkeitssinns“ gestoßen. Ich mag diesen Begriff. Er
bezeichnet die Fähigkeit, in Chancen zu denken, die Möglichkeiten
zu sehen. Manchmal geht das neben den Herausforderungen der
Gegenwart verloren. Man flüchtet sich dann in die Vergangenheit
und droht darüber zu vergessen, dass „Zukunft kein Schicksal
ist“, wie es der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
zusammenfasst, sondern ein gestaltbarer Ort sein kann.
Warum nicht die Herausforderung annehmen? Und aktiv gestalten? In
eine verbindende Kooperation kommen, sich bewusstwerden, um was es
wirklich geht? Um Stimmen im Wahlkampf und um Sitzverteilung oder um
eine gesunde und stabile Zukunft? Ums Rechthaben und Machterhalten
oder um eine gerechte Verteilung von Ressourcen innerhalb der
Weltgemeinschaft und den Generationen?

Grüne Politik in Endorf möchte der Zukunftsverweigerung und
Gegenwartsleugnung dieser Gesellschaft etwas entgegensetzen. Es ist
ein Aufbegehren für einen offenen Umgang mit dem Neuen, fürs
Mitgestalten. Auch um Tradition, Rituale und Liebgewonnenes in
Endorf zu erhalten und weiterpflegen zu können.
Wir sollten unsere Unsicherheiten in Gestaltungsideen verwandeln.
Offen. Respektvoll. Gemeinsam.

Mareike Melain

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